Viele Menschen sind in Sorge. Ob im Beruf oder in der Familie, in der Stadt oder auf dem Land – jüngere Entwicklungen geben ihnen ein Gefühl von Unsicherheit. In den Nachrichten und sozialen Medien sind unzählige Themen, die Sorgen und Ängste hervorrufen. Im geschäftigen und oft schwierigen Treiben dieser Welt suchen Muslime im Gebet Zuflucht bei Allah. Besonders in unserer heutigen schnelllebigen Zeit erhält das Gebet für Muslime eine tiefe Bedeutung und Relevanz.
Das Gebet nimmt im Islam eine zentrale Rolle ein und fungiert als direkte Verbindung zwischen dem Gläubigen und seinem Schöpfer. Es ist ein spiritueller Akt, der Muslimen hilft, sich auf Allah zu besinnen, ihre Gedanken zu ordnen und ihre Beziehung zu Gott zu stärken. Zugleich ist es ein heiliger Akt, der fünfmal täglich durchgeführt wird, und Muslime auf der ganzen Welt im Gebet miteinander verbindet. Der diesjährige Tag der offenen Moschee (TOM) gibt einen Einblick in das muslimische Gebet.
Gebetsformen
Im Islam gibt es verschiedene Gebete. Das wichtigste Gebet ist das fünfmalige tägliche Gebet (Salâh). Es wird nach einer bestimmten Abfolge durchgeführt, was Muslimen ermöglicht, überall auf der Welt daran teilzunehmen, unabhängig von ihrer Landessprache und Kultur. Die Pilgerfahrt (Hadsch) ist ein Höhepunkt des Gebets, da es Menschen aus aller Welt gemeinsam verrichten. Dieser spirituelle Akt verbindet Muslime aus aller Welt. Zusätzlich zu dem täglichen Gebet gibt es das Freitagsgebet sowie Gebete während des Ramadan- und Kurbanfestes, das Totengebet und weitere individuelle Gebete, die Muslime in ihrem Glauben stärken.
Darüber hinaus gibt es im Islam das Bittgebet (Duâ). Dies ist eine Art Gespräch mit dem Schöpfer. Ist der Gläubige erschöpft, benötigt er Trost oder sucht nach einem Ausweg aus einer schwierigen Lage, spricht er ein Bittgebet, ein Mittel, das Allah ihm gegeben hat. Im Bittgebet sprechen Muslime über ihre Sorgen und Ängste, suchen nach Lösungen, bitten den Schöpfer um Kraft und Geduld, beleben ihre Hoffnung und schöpfen Kraft daraus.
Besinnung
Während des Gebets wenden sich Muslime in Richtung der Kaaba in der Stadt Mekka und rezitieren bestimmte Passagen aus dem Koran. So entsteht eine Atmosphäre der Hingabe und des Respekts vor Gott und seinem Wort. Das Stehen, die Verneigung und Niederwerfung sind nicht bloße Körperbewegungen im Gebet, sondern symbolisieren Demut und Ergebenheit. Muslime sind angehalten, im Gebet ihre Gedanken von weltlichen Angelegenheiten zu befreien und sich vollständig auf ihre Verbindung zu Allah zu konzentrieren. Im Koran heißt es: „(Es sind) diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken Allahs Ruhe finden. Sicherlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe!“ (Sure Râd, 13:28)
Unsere Welt ist geprägt von ständiger Erreichbarkeit, Informationsflut und Geschäftigkeit. Das Gebet gibt den Gläubigen Raum und Zeit für innere Einkehr und ermöglicht Entschleunigung. Es dient als eine Art spiritueller Reset, der Gläubige daran erinnert, was im Leben wirklich wichtig ist. Wie ein Architekt die Konstruktion seines Gebäudes am besten kennt, so kennt Gott den Menschen und seine Natur am besten. Davon sind Muslime überzeugt. In einem Koranvers steht: „O ihr Gläubigen, sucht Hilfe in der Standhaftigkeit und im Gebet! Allah ist mit den Standhaften.“ (Sure Bakara, 2:153) In diesem Vers steckt die Botschaft, dass nicht Gott Nutzen aus dem Gebet zieht, sondern der Betende.
Mithin ist das Gebet für Muslime ein Mittel, sich zu besinnen, sich ihrer selbst bewusst zu werden, sich das Wesentliche zu vergegenwärtigen. Der Sinn von Schicksalsschlägen, Herausforderungen, Ängsten und Sorgen ist es, dem Menschen bewusst zu machen, dass er nicht alles kontrollieren und lenken kann und nur Gott der Allmächtige ist. Diese Besinnung erfrischt Geist und Seele und schafft einen klaren Fokus.
Belebung
Spiritualität und Moral entspringen dem Herzen. Wer ein erfülltes Leben führen, Gutes tun und sich für das Gemeinwohl einsetzen möchte, muss neben der körperlichen Gesundheit auch sein Herz im spirituellen Sinne pflegen. Die wichtigste Nahrung für das Herz ist im Islam das Gebet. Wie der menschliche Körper Essen und Trinken benötigt, gehört auch das Herz mit spiritueller Nahrung versorgt. Nur so kann es Kompass für ein moralisch aufrichtiges Leben sein.
Nur wer daran glaubt, dass gute Taten Gutes bewirken, wird Gutes tun. Wem diese Zuversicht und Hoffnung fehlt, wird die gute Tat nicht suchen. Das Gebet erfüllt das Herz mit Zuversicht und Hoffnung und schützt es. Im Koran heißt es: „Gewiss, das Gebet hält davon ab, das Schändliche und das Verwerfliche (zu tun).“ (Sure Ankabût, 29:45)
Verbindung
Das Gebet erinnert Muslime daran, dass der Mensch angesichts der vielen Herausforderungen im Leben nicht allein ist. Denn das Gebet ist eine Brücke, um als Mensch mit Gott in Verbindung zu treten. Der Prophet Muhammad (s)1 sagte: „Wenn einer von euch betet, führt er ein vertrauliches Gespräch mit Allah.“ (Buhârî) Die Verbindung zum Schöpfer stellt für Gläubige die wichtigste und bedeutendste Verbindung des Menschen dar. Zu beten bedeutet, diese Verbindung zu stärken, zu intensivieren und die Beziehung zur Kraftquelle zu pflegen.
Das Gebet verbindet weltweit die muslimische Gemeinschaft. Egal, ob jemand in Berlin, in Sanaa oder in New York betet, die Ausrichtung gen Kaaba schafft ein Gefühl der Einheit. Mit dem täglichen Gebet zu festen Zeiten, ob allein oder in der Gemeinschaft, teilen Muslime eine spirituelle Erfahrung, die kulturelle, ethnische und geografische Grenzen überwindet. Das Gebet erinnert die Gläubigen daran, dass sie vor Gott als Menschen alle gleich sind – unabhängig von Herkunft, Biografie oder Status.
Das Gebet reinigt Körper und Seele. Es drängt Alltagsstress, Sorgen und Ängste zurück und gibt Zeit und Raum für innere Einkehr. Der Prophet Muhammad (s) fragte seine Gefährten: „Was meint ihr, wenn vor der Tür von einem von euch ein Fluss wäre, in dem er täglich fünfmal badet, meint ihr, dass dann noch irgendein Schmutz übrigbleibt?” Sie antworteten: „Es würde nichts übrig bleiben.” Daraufhin sagte er: „So ist es auch mit den fünf Gebeten, mit denen Allah die Sünden auslöscht.“ (Buhârî)
Das Gebet ist zugleich ein Bekenntnis: Der Betende bekennt, dass Allah über das Schicksal verfügt; dem Menschen obliegt es lediglich, Gutes zu tun für sich und andere. Das Gute, wozu auch das Gebet selbst gehört, lässt sich am besten in der Gemeinschaft realisieren. Der Prophet sagte: „Das Gebet zusammen mit einem anderen ist besser, als allein zu beten, und das Gebet mit zwei anderen ist besser, als ein Gebet mit (nur) einem anderen. Je mehr (Menschen) es sind, desto lieber ist es Allah, dem Mächtigen und Erhabenen.” (Abû Dâwûd)
Das Gebet ist schließlich auch gemeinschaftliche Fürsorge. Blieb ein Gläubiger dem gemeinsamen Gebet fern, fragten die Prophetengefährten nach ihm und erkundigten sich über sein Befinden. Das Gebet ist demnach nicht nur eine individuelle Angelegenheit zwischen dem Gläubigen und Allah, sondern auch ein sozialer Akt. Die regelmäßige Teilnahme am gemeinschaftlichen Gebet schweißt Menschen zusammen, stärkt die gegenseitige Fürsorge und vergegenwärtigt, dass man nicht allein ist. Es erinnert daran, dass der Mensch im Streben, die Welt zu einem schöneren Ort zu machen, Teil von etwas Größerem ist.
Das Gebet ist im Islam weit mehr als eine rituelle Handlung. Es belebt den Geist, verbindet Gläubige mit ihrem Schöpfer und der muslimischen Gemeinschaft. Das Gebet baut zugleich eine Brücke zwischen Menschen, Schöpfer und der Gemeinschaft. Es ist Quelle der spirituellen Nahrung, um die Herausforderungen des Lebens im Diesseits zu meistern.
1Abkürzung für „sallallâhu alayhi wa sallam“ („Der Segen und Friede Gottes sei auf ihm“); Bei der Nennung des Namens des Gesandten Gottes Muhammad (s) sprechen die Muslime diesen oder einen ähnlichen Segenswunsch.